Im Januar 2020, kurz bevor die Welt in den Lockdown ging, machte ich mich auf den Weg zu einer 14-tägigen Reise durch Nordwestindien – das berühmte “Goldene Dreieck” und die bunte Region Rajasthan. Die Idee dazu entstand spontan – bei einem verspielten Handyspiel namens „Wohin als Nächstes?“, während ich gerade auf Bali war. Aus einem spielerischen Impuls wurde eine bedeutsame Reise voller Geschichte, Kultur und unvergesslicher Begegnungen.
Über eine Facebook-Gruppe für alleinreisende Frauen fand ich eine gleichgesinnte Schweizer Reisebegleiterin. Gemeinsam planten wir unsere Route mit Hilfe eines lokalen Kontakts – ein Inder, der einst in Deutschland gelebt hatte. Er stellte für uns eine authentische und sichere Reiseroute zusammen. Seine Ortskenntnis eröffnete uns einen Blick auf Indien, der weit über das hinausging, was Reiseführer vermitteln.
Delhi: Wo Chaos und Anmut aufeinandertreffen
Unsere Reise begann in Delhi, einer Stadt voller Gegensätze. Hier stehen prächtige Mogulbauten neben modernen Einkaufszentren und Glasfassaden. Mit unserem Gastgeber tauchten wir gleich tief in das rhythmische Leben der Stadt ein. Eine unserer ersten Missionen: Outfits für unseren Besuch des Taj Mahal besorgen. Inmitten geschäftiger Märkte suchten wir Saris und funkelnden Schmuck aus – ein Erlebnis für sich.
Beim Schlendern durch die Gassen von Alt-Delhi kosteten wir aromatisches Street Food, wichen Tuk-Tuks aus und bewunderten koloniale Fassaden. Ein besonderer Moment: die Jama Masjid. Barfuß auf kühlem Marmor zu stehen, während der Gebetsruf durch die Luft hallt, war zutiefst bewegend. Delhi war laut, lebendig, berührend – ein erster Vorgeschmack auf Indiens facettenreiche Seele.
Agra: Tradition in Marmor gemeißelt
In Agra wartete das Taj Mahal. Doch nicht nur das Bauwerk selbst war beeindruckend – auch unser Bemühen, lokale Traditionen zu würdigen, verlieh dem Besuch Tiefe. Mit den in Delhi erstandenen Stoffen ließen wir uns Sari-Blusen schneidern und verzierten unsere Hände mit kunstvollem Henna.
Das Drapieren der Saris stellte sich als echte Herausforderung heraus. Da das Hotelpersonal aus kulturellen Gründen nicht helfen durfte, griffen andere weibliche Gäste beherzt ein – ein Moment echter Verbundenheit. Im Morgengrauen standen wir schließlich vor dem Taj Mahal, eingehüllt in Pastelllicht und Stille. Später blickten wir vom Agra Fort zurück auf das ikonische Mausoleum – ein Moment, der sich tief eingebrannt hat.
Jaipur: Königliche Farben und Alltagsrituale
In Jaipur, der Rosaroten Stadt, traf Geschichte auf Gegenwart. Die Zinnen des Amber Forts, mit seinen Spiegelmosaiken, glitzerten im Sonnenlicht, während das City Palace mit architektonischer Raffinesse begeisterte. Das verspielte Patrika Gate wurde schnell unser Lieblings-Fotospot.
Aber Jaipur lebte nicht nur in seinen Palästen. Es waren die Teestände, die Goldschmiede, das Stimmengewirr der Basare, das uns einfing. Beim Handeln um ein Tuch spürten wir: Es geht nicht nur ums Kaufen, sondern ums Miteinander. Jede Gasse schien ein neues Kapitel zu erzählen.
Pushkar: Stille am heiligen See
Pushkar war anders – ruhiger, spiritueller. Der Ort rund um den heiligen See und den einzigen Brahma-Tempel Indiens strahlte eine tiefe Gelassenheit aus. Wir liefen barfuß um das Wasser, beobachteten Pilger bei ihren Ritualen und ließen uns von Tempelglocken durch die Dämmerung begleiten.
Der Sonnenuntergang über dem See – warm, ruhig, spiegelglatt – war Poesie. Bei einem vegetarischen Thali und Ingwertee ließen wir den Tag ausklingen. Hier zählte nicht das Sehen, sondern das Fühlen.
Udaipur: Paläste, Poesie und Pichola-See
Udaipur – auch „Venedig des Ostens“ genannt – verzauberte mit seinen Seen und weißen Fassaden. Das weitläufige Stadtpalais war ein Fest aus Farben, Mustern und Geschichten. Im Garten der Jungfrauen, Saheliyon-ki-Bari, sprudelten Brunnen zwischen Blumenbeeten – ein friedlicher Rückzugsort.
Der Höhepunkt: Eine Bootsfahrt bei Sonnenuntergang auf dem Pichola-See. Die goldene Silhouette der Stadt spiegelte sich auf dem Wasser – ein Moment zwischen Märchen und Realität.
Jodhpur: Blau in allen Nuancen
Jodhpur überraschte uns mit seiner Bläue. Vom Mehrangarh Fort blickten wir auf ein endloses Meer aus indigofarbenen Häusern. Die Festung selbst erzählte von Kriegerkönigen, während unten auf den Märkten Gewürze, Stoffe und Räucherstäbchen um unsere Aufmerksamkeit buhlten.
Der Duft von Sandelholz und Kardamom begleitete uns durch die Gassen. Hier zeigte sich Indien von seiner herzlichen, temperamentvollen Seite – rau, königlich, ehrlich.
Jaisalmer: Goldene Geschichten in der Wüste
Unser letzter Halt: Jaisalmer, die Goldene Stadt. Die Sandsteinfestung erhob sich aus der Thar-Wüste wie eine Fata Morgana. Besonders: Das Fort ist noch heute bewohnt. Innerhalb seiner Mauern zu übernachten fühlte sich an wie eine Zeitreise.
Obwohl ich dort krank wurde, spendeten mir die Stadt und ihre Menschen Trost. Sonnendurchflutete Terrassen, Tee mit frischem Ingwer und aufrichtige Hilfsbereitschaft verwandelten mein Unwohlsein in einen Moment der Dankbarkeit. In einer kleinen Gasse fand ich einen goldenen Kompass – heute erinnert er mich an diese Reise und meinen inneren Kompass, der immer auf Entdeckung zeigt.
Zurück auf den Gleisen: Gedanken im Zug
Die Rückfahrt nach Delhi – 18 Stunden im Nachtzug – war keine luxuriöse, aber eine echte Erfahrung. Der gleichmäßige Klang der Räder wurde zum Soundtrack unserer Erinnerungen. Draußen zogen Dörfer, Felder und Städte vorbei, während drinnen Geschichten geteilt wurden.
Trotz Enge und einfacher Ausstattung war die Zugfahrt unvergesslich – nicht wegen des Komforts, sondern wegen der Authentizität.
Indien: Zwischen Kontrast und Verbindung
Indien lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Es ist prachtvoll und roh, spirituell und chaotisch, alt und jung zugleich. Tuk-Tuks, Kühe auf der Straße, achtköpfige Familien auf einem Moped – das ist Indien. Und genau diese Momente prägen das Reiseerlebnis mehr als jedes Denkmal.
Indien zu bereisen bedeutet, präsent zu sein. Offen zu sein. Sich einlassen und verändern zu lassen.
Beste Reisezeit: Wann nach Nordwestindien?
Für die Region Delhi, Agra und Rajasthan eignet sich die Zeit von Oktober bis März besonders gut. Dann sind die Temperaturen angenehm, die Luft klar und die Landschaft voller Leben. Wir reisten im Januar – perfekt für Sightseeing bei mildem Klima. Morgens brauchte es noch eine Jacke, mittags war man in Baumwolle unterwegs, abends dampfte der Chai in der Hand.
Ein zusätzlicher Bonus: Viele kulturelle Highlights finden im Winter statt – wie das farbenfrohe Lohri-Fest oder der Republic Day – und bereichern jede Reise.
Reise-Highlights: Augenblicke, die bleiben
Manche Momente brennen sich ein – ob groß oder leise:
- Der erste Blick auf das Taj Mahal im Morgengrauen – mystisch und magisch.
- Das Einkaufen von Saris in Delhi – ein Fest für alle Sinne.
- Traditionelle Kleidung am Taj – und die vielen Lächeln, die uns entgegengebracht wurden.
- Der Spiegelsaal im Amber Fort, funkelnd wie ein Tag voller Sterne.
- Der Sonnenuntergang in Pushkar, der Seele und See zugleich berührte.
- Jodhpurs indigoblaues Häusermeer, surreal und wunderschön.
- Eine Nacht im Fort von Jaisalmer – als würde man in einer goldenen Vergangenheit erwachen.
Ein Abschied, bevor sich die Welt veränderte
Als wir ins Flugzeug stiegen, ahnten wir nicht, was nur Wochen später folgen würde. Unsere Reise wurde zu einer Art Zeitkapsel – ein letzter Moment globaler Freiheit und Neugier, bevor sich die Welt verlangsamte.
Von Delhis Trubel bis zu Pushkars Stille, vom Marmor des Taj bis zum Sandstein von Jaisalmer – diese Reise erinnerte mich daran, warum ich unterwegs bin: um zu fühlen, zu verstehen, zu staunen.
Und manchmal beginnt alles mit einer einzigen Frage: „Wohin als Nächstes?“
Wenn ihr einen Besuch des Taj Mahals plant, dann schaut euch hier gerne die offizielle Webseite an für alle notwendigen Information.